Die Einzigartigkeit des Passivhauses bei umfassender Betrachtung

Wir wollen bewusst versuchen herauszuschälen, welche Merkmale für die Gebäudekategorie Passivhaus spezifisch sind, um dazu beizutragen, die eigentliche Besonderheit des Konzepts zu erkennen und sich so leichter in diesem Thema zu bewegen. Es scheint bisweilen schwierig, Diskussionen rund um das Thema "Passivhaus" zu folgen, als viele der technischen Lösungen in diesem Diskurs inflationär mit dem Präfix bzw. Attribut "Passivhaus-" versehen werden.

Es geht um "Passivhausfenster", "Passivhausheizung", "passivhaustauglich" etc. Man fragt sich, worüber man denn bisher gesprochen hatte? Man hatte es doch auch sonst mit hochwärmegedämmten Fenstern, mit Anforderungen an die maximale Wärmedurchlässigkeit, mit Heizungen, die imstande sind, dauerhaft nur sehr wenig Heizwärme abzugeben etc. zu tun. Warum soll das jetzt plötzlich Passivhausfenster, passivhaustauglicher Zimmerofen etc. heißen? Geht es nur um einen Marketingbegriff?

Alle technischen Elemente, die im Passivhaus eingesetzt werden, sind für sich genommen insofern nicht spezifisch für das Passivhaus als solches, als sie auch in anderen Gebäuden mit niedriger Heizlast und niedrigem Heizwärmebedarf eingesetzt werden können und werden.
Dazu Wolfgang Feist, Universität Innsbruck und Leiter des Passivhaus Instituts Darmstadt:

Univ. Prof. Dr. Wolfgang Feist:
Wir haben ja das Passivhaus generell anhand von funktionalen Kriterien definiert (die 10 W/m2 oder die 15 kWh/m2a). Wir vermeiden spezifische technologische Anforderungen, wir sagen nicht: Du musst eine Drei-Scheibenverglasung wählen, wobei sich am Schluss herausstellt, das ist das einzige sinnvolle hier in Österreich, ich könnte auch eine Vier-Scheiben- oder eine Vakuumverglasung nehmen, in manchen Fällen wird es auch mit der Zwei-Scheibenverglasung gehen, es ist also nicht so, dass wir das vorschreiben würden.
Wenn also spezielle Komponenten nicht das Spezifische eines Passivhauses sind, was ist es dann?
Es ist die Frischluftbeheizbarkeit, also die Beheizbarkeit ausschließlich mit dem hygienisch erforderlichen Luftstrom, das nüchtern, nämlich rein technisch, betrachtet als Alleinstellungsmerkmal bleibt. Es ist daher dieses konzeptuelle, innovative Kriterium, von dem ausgegangen werden sollte, wenn es um die Frage geht: "Was ist ein Passivhaus?"

Hiezu ist anzumerken, dass es auch Gebäude geben kann, die zwar als Passivhäuser gelten, aber nicht im strengen Sinne frischluftbeheizbar sind, d.h. eine Heizlast von über 10 W/m2 erreichen. Dies wurde bereits im Beitrag "Was ist ein Passivhaus" erläutert. Das Prinzip der Frischluftbeheizbarkeit war aber leitend in der Entwicklung des Passivhauskonzepts und führte zur Ableitung der dafür notwendigen bauphysikalischen Standards. . Weiters soll angemerkt werden, dass immer weniger Passivhäuser als frischluftbeheizt ausgeführt werden und häufig auch empfohlen wird, die Lüftung von der Heizung zu trennen. Dies wird im Beitrag "Ein Passivhaus wird beheizt" näher erläutert.

Gebäudecharakteristika wie "hochwärmegedämmt", "wärmebrückenfrei", "luftdicht" und "mit Lüftungsanlage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung", die zumindest eine gewisse Zeit in erster Linie mit dem Passivhaus assoziiert wurden, sollten mittlerweile Charakteristika jedes neu gebauten Gebäudes und Kriterien für jede moderne Gebäudesanierung sein.
Viele Unterlagen, die zum Thema Passivhaus veröffentlicht werden, sind daher auch für andere Gebäude, insbesondere Neubauten, in gleichem Maße relevant.


Was macht das Passivhaus als Gebäudekategorie also einzigartig?

Sieht man sich an, was rund um das Passivhaus an planerischen Werkzeugen, gebauten und validierten Beispielen geschaffen wurde und wird und welche Expertinnen und Experten weltweit dahinter stehen, steht das Passivhaus als Gebäudekategorie beispiellos da:

Es gibt bislang keine andere Gebäudekategorie, die einen derartigen Qualitätssprung in der energieffizienten Bau- und Haustechnik einforderte und vorzeigte und damit auch Wegbereiter für andere hocheffziente Gebäudekategorien war. Das erste Passivhaus wurde bereits 1992 gebaut, zu einer Zeit, als noch nicht einmal Niedrigenergiehäuser, zumindest als Standard, üblich waren. Das Passivhauskonzept forderte, Gebäude mit nur 10% des Wärmebedarfs des damals üblichen Gebäudestandards zu errichten. Mit anderen Worten: Heute reitet es sich wesentlich leichter auf der "A++-" als 1992 auf der "Passivhauswelle".

Keine andere Gebäudekategorie wurde derart akribisch von einer Vielzahl von Experten in bezug auf viele unterschiedliche Fragestellungen durchleuchtet. Viele Gebäude wurden im Passivhausstandard gebaut, einige wurden sogar auf den Passivhausstandard hin saniert. In all diesen Fällen konnte das reale Verhalten der Gebäude in der Nutzung gut mit der ursprünglichen Planung verglichen werden. Dies war möglich, da mit dem Passivhausprojektierungspaket, abgekürzt PHPP, ein derart detailliertes und gleichzeitig kostengünstiges Planungstool geschaffen worden war, dass die Ursachen für Abweichungen von der Planung auch bei sehr kleinen Energieverbräuchen untersucht werden konnten. Herkömmliche Planungstools waren entweder zu teuer oder zu aufwendig, um die gleiche Detailtreue zu erreichen. Das PHPP wurde überdies immer weiterentwickelt, in seiner jüngsten Version von 2014 verarbeitet es auch 3D-Daten.

Es hat sich eine stets wachsende Community von Experten gebildet, die sich regelmäßig, meist in Deutschland, im sogenannten "Arbeitskreis kostengünstige Passivhäuser" trifft und dort verschiedene Fragestellungen rund um das Passivhaus diskutiert. Es gibt neben den Arbeitskreistreffen auch eine jährlich stattfindende gut besuchte Passivhaustagung. Die Arbeitskreistreffen werden über Protokollbände und die Tagung über einen Tagungsband auch für Dritte dokumentiert. Insbesondere die Protokollbände sind von hoher Qualität und büßen auch nach Jahren praktisch nichts an Aktualität ein.

Das Wissen zur Planung von Passivhäusern wird durch eine Reihe qualitätsgesicherter Schulungen vermittelt, die gut besucht werden und die auch international in verschiedenen Sprachen angeboten werden.

An der Spitze der Passivhaus Community steht ein engagierter hochmotivierter Visionär, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Feist, der sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht, sondern das Passivhauskonzept laufend weiterentwickelt.
So scheint es auch wieder Wolfgang Feist zu sein, der eine wichtige und durchdachte Definition im Bereich jener Gebäude einbringt, die hin zu einer energieautarken, d.h. zur Gänze auf erneuerbaren Energien basierenden, Gesellschaft führen soll. Bereits 2013 stellte er auf der Passivhaustagung erste Gedanken zu einer quantitativen, klaren Bewertung von Gebäuden in dieser Richtung vor.

Univ. Prof. Dr. Wolfgang Feist:
Das Passivhaus braucht so wenig Heizenergie, dass es keinen Sinn macht, das Kriterium nur für Heizung anzuwenden, also muss ich die Effizienz des Gesamtgebäudes abbilden. Der Weg, den wir gehen werden ist der - wir bilden das Gebäude in Erneuerbare-Energien Struktur ab. In 20, 30, 40 Jahren werden wir weitgehend unser Energiesystem auf erneuerbaren Energien aufbauen müssen.
Das Passivhaus als Konzept ist also alles andere als statisch und in diesem Sinne ganz und gar nicht passiv. Offenkundig ist damit auch, dass der Name "Passivhaus" historisch und auch noch heute eng mit jenem des Passivhausinstitutes und hier mit seinem Gründer, Univ.-Prof. Wolfgang Feist verbunden ist.

Die Definition des Passivhauses bildet gemeinsam mit dem Planungswerkzeug Passivhausprojektierungspaket, abgekürzt PHPP, den vielen tatsächlich gebauten Beispielen, den umfangreichen , exzellenten Unterlagen, einer hochinteressierten Community und nicht zuletzt mit seiner Entwicklungsgeschichte seit den frühen 1990er Jahren ein gesamtes Ganzes. Nur aufgrund dieses "Gesamtpaketes" konnte sich der Begriff Passivhaus und der entsprechende Gebäudestandard derart etablieren. All diese Umstände sollte man über die rein technische Definition des Passivhauses hinaus im Auge behalten, denn technische Definitionen für Gebäudekategorien gibt es viele, aber keine mit einem derartigen Hintergrund.

"Passivhaus-Rosinenpicken" ist möglich

Natürlich kann man sich aus dem Informations- und Definitionskomplex rund um das Passivhaus auch lediglich planerische Anregungen holen, die man dann in einem "Fast-Passivhaus", oder wie man auch das jeweilige Gebäude bezeichnen mag, umsetzt. Man kann z. B. das PHPP als Planungstool einsetzen - ohne ein echtes Passivhaus zu bauen. Birnen können auch mit einem Apfelschäler geschält werden. Das PHPP als Tool bietet sich an, weil es extrem gut durchdacht und in der Praxis erprobt ist.

"Rosinenpicken" sozusagen ist völlig zulässig und auch eine gute planerische Praxis. Das Passivhausinstitut selbst hat eine eigene, nicht so scharfe Version der Definition des Passivhauses, eine weitere Gebäudekategorie, den sogenannten EnerPhiT-Standard, für Gebäudesanierungen geschaffen. Man sollte sich aber immer bewusst sein, wofür man sich in der Planung entschieden hat.

Die Klarheit in der Benennung, also Passivhaus oder Nicht-Passivhaus ist nicht wegen der Wahrung von Eitelkeiten oder Paragraphenreiterei, sondern aus ganz praktischen Gründen wichtig. Der wichtigste praktische Umstand ist dabei, dass man ein Gebäude mit einer höheren Heizlast als ein Passivhaus nicht rein mit der hygienisch erforderlichen Frischluft beheizen kann - zumindest nicht ausreichend zuverlässig während der kältesten Zeit. In der Vergangenheit sind diesbezüglich durchaus Fehler passiert: Wohnungen, in denen keine zusätzliche wassergeführte Heizung vorgesehen war, die aber nicht den echten Passivhausstandard erreichten, blieben in einigen Fällen für heutige Maßstäbe unbehaglich kühl. Diese Art von Fehlern dürfte aber mittlerweile - zumindest im deutschsprachigen Raum - weitgehend ausgemerzt sein.

Hilfreiche Quellen

  1. Was ist ein Plusenergiehaus – Teil 4: Die Weiterentwicklung des Passivhausstandards: Passivhaus Plus und Passivhaus Premium
  2. Sanieren mit Passivhauskomponenten, Der EnerPHit Standard